Ne schöne Jroooß an Wolfgang Niedecken...

BAP's Musik begleitet mich jetzt schon seit den frühen 80ern durchs Leben,
und, klar, so wie ich sie damals kennengelernt habe, so habe ich sie auch heute noch
am Liebsten, will sagen... mit dem Major, dem Schmal, dem Steve Borg...
was aber nicht heisst, dass ich sie schlecht finde seit deren (und Effendi Büchel's)
Weggang, ne, so sehr kleb ich nicht an der Vergangenheit fest,
und, um es klar zu sagen, den Major wünsch ich mir auch nicht mehr zurück, denn
irgendwie hatte der sein Pulver bereits verschossen, als er ging (sry Klaus),
und die letzten Platten mit ihm waren sicher nicht besser als das, was folgte.

Ja, die neue Scheibe „Lebenslänglich“ finde ich zB deutlich besser, würde sagen,
es ist die beste seit mindestens „Pick Sibbe“, und mehrere Lieder davon laufen bei mir
auf Heavy Rotation. Schuld dran ist auch ein Konzert, mit dem mir der Wolfgang
mit seiner aktuellen, richtig tollen Besetzung eine Riesenfreude machte (da ich aber nur "Zaungast" auf dem ZMF-Gelände war ist es unter den "Konzertgängen" nicht gelistet) ...und ein junger Freund, der unlängst zum BAP-Fan wurde,
weil er sich nach Angucken von „Sing meinen Song“
endlich mehr anhörte als das Bisserl, was er vorher kannte
(und ihm noch nicht so sonderlich gefiel).

Tja, und bei ihm schlugen sie dann auch ein, und wie...
„Affjetaut“, „Für Usszeschnigge“, „Vun Drinne noh Drusse“, „Bess demnähx“,
„Zwesche Salzjebäck un Bier“... das volle Programm, mit dem sie damals ja,
trotz des kölschen Dialekts, ganz Deutschland erobert haben...
und für so Altfans wie mich ihre „beste Zeit“, obwohl natürlich jeder Künstler
lieber für die Gegenwart gelobt wird... was ich ja auch gerade schon tat...
und wirklich nicht aus Pflichtgefühl, sondern weil a) das Konzert super war und
b) „Lebenslänglich“ wirklich ne gute Platte geworden ist.
Dem jungen, neuen Fan „musste“ ich dann alles aufschreiben, was mir zu BAP
in den Sinn kam, die genannten Platten Lied für Lied durchgehen und interpretieren...
und damit ich nicht nur subjektiven Stuss erzähle, hab ich natürlich im Internet
nach Interviews gegoogelt und vieles gelesen/in Erfahrung gebracht,
was ich nicht wusste.

Besonders interessant war für mich, warum der Wolfgang eins meiner Lieblingslieder,
den „Schönen Jrooß“, textlich verändert hat... bzw. ausgerechnet die letzte Strophe,
die mit dem „Aufblasbargott“, seit vielen Jahren nicht mehr singt.
Ausgerechnet die... quasi der Gipfel des Lieds, der Punkt, an dem er alles rausließ
und unserer Gesellschaft so richtig den Konsum-Horror-Spiegel vorhielt,
eine vom Mammon bestimmte Welt der „Gewinner und Verlierer“,
in der die Religion wie eine Soße zur Gewissensberuhigung drübergeschüttet wird,
aber der angebetete Gott eben... nicht im Zentrum steht, nicht wirklich bestimmen „darf“,
ja, vom sogenannten „gesunden Menschenverstand“ eher für verrückt erklärt wird,
wenn mal jemand die Bibel und vor allem die Lehren Jesu wirklich ernst nimmt.
Mensch, war das geil... was er da diesem „ganzen Komplott“ empfahl, der gute Wolfgang...
mit seinem jugendlichen Wagemut, mit seiner ganzen Enttäuschung und Wut,
verletzt von den Wertungen der Außenwelt und ohne rechten Plan, wie es denn
weitergehen sollte mit ihm, was aus ihm werden soll... ständig in der Gefahr,
die in ihn gesetzten Erwartungen zu enttäuschen und aus dem sozialen Raster rauszufallen.
Gerade dafür hab ich BAP geliebt... die Frechheit, mit der der Wolfgang uns
unbequeme Wahrheiten aufs Brötchen schmierte, wie wunderbar er auch Menschen
portraitierte, die ihn zur Verzweiflung brachten... nicht selten Menschen, die er liebte,
wie die "Anna". Und irgendwie musste im Lauf der Jahre sein Gewissen zugeschlagen haben,
denn die „Anna“ tut ihm (zu sehr) Leid, der „Aufblasbargott“ war ihm nicht wirklich gelungen,
er sei über's Ziel hinausgeschossen...
tja. Dann spielt man sie nicht mehr bzw nur verändert oder gar verstümmelt,
die tollen Lieder von damals. Man will kein böser Mensch sein, das Gewissen
und Selbstkritik sollen Reife demonstrieren, eine gewisse Altersmildheit ist dazugekommen.

Na gut. Soll ihm die "Anna" leid tun. Er war wahrscheinlich viel schlimmer... (glaub ich nicht) lol.
Soll er Rücksicht nehmen auf alle gottgläubigen Menschen, die sich
vom „schönen Jrooß“ in ihren religiösen Gefühlen verletzt sehen.
Es ist okay. Aber eins ist nicht okay, und deshalb schreib ich diesen Text hier.
Wolfgang selbst bezeichnete die Zeile mit dem „Aufblasbargott“ nämlich als „Gotteslästerung“.
Und hier schießt er wirklich weit übers Ziel hinaus und gibt, mit vorauseilendem Gehorsam,
ganz eindeutig den falschen Leuten Recht, nämlich jenen, die Gott mißbrauchen und
tatsächlich lästern während sie dabei auf andere zeigen, sich Sündenböcke suchen und
jene aufhetzen, die ihnen hinterher laufen...:

„die alles, was anders ist, stört, die mit dem Strom schwimmen, wie es sich gehört...“,

den Verführern, die am liebsten jedem einen Maulkorb verpassen würden, der es wagt, auch nur Kritik zu äußern.
Nein ! Das ist keine Gotteslästerung, lieber Wolfgang !
Du kannst das vielleicht, als Agnostiker, nicht korrekt einschätzen und willst lieber
gar nix sagen als Gott zu lästern, das spricht für dich, aber bitte nehmen wir mal
diese Zeilen unter die Lupe:
„Noch zu empfehlen wäre dem ganzen Komplott:
Schenkt jedem einzelnen doch einen Aufblasbargott,
aus Vinyl, abwaschbar, exakte Maße, verbrauchergerecht... gefühlsecht !“

Hier wird gar nichts über "Gott" gesagt, überhaupt nichts und damit auch nichts
Negatives. Hier wird die Konsumgesellschaft karikiert, in der man vor gar nichts
mehr zurückschreckt, in der letztlich nichts mehr heilig ist außer dem materiellen Besitz.
Und genau diesem "Komplott" kann man dann auch noch, wie hier geschehen,
und bitte ganz ohne schlechtes Gewissen, diesen bösartigen Vorschlag machen,
um damit zu entlarven, was die Menschen hier in Wahrheit längst aus „Gott“ machen,
wie sie ihn sich „hinbiegen“ und zurechtstutzen, damit es "passt", und damit letztlich...:
Wie Gott hier Tag für Tag gelästert wird.

So ! Der Agnostiker Niedecken hat hier ein grobes Fehlurteil über sich selbst gesprochen...
weil er, in seiner damaligen Wut geradezu verzweifelt, Gott nicht lästerte sondern
in Wahrheit die Stimme für ihn erhob – in einer gotteslästerlichen Welt...
dies ging gar nicht mehr anders als dadurch, es quasi auf die Spitze zu treiben,
um die ganze Heuchelei, um die Lächerlichkeit, der er preisgegeben wird,
schonungslos aufzuzeigen... Wolfgang traute sich, unverstellt, das rauszuschreien,
und damit tat er der Seele wohl, erst der seinen, und bis heute auch der meinen.
Ich bin ein gottgläubiger Mensch. Ich habe das Evangelium immer ernst genommen.
Wir leben hier in einer Gesellschaft, in der es quasi unmöglich gemacht wurde,
es wirklich zu leben, der Glaube ist tot, der Gläubige ist der Dumme,
wer es ernst meint wird ausgegrenzt und/oder rausgemobbt wie ich damals,
wegen einem Pipifax (Scherz !) als „Fanatiker“ geschimpft, aus der Firma Saturn.
Aber die echten Fanatiker kriegen freie Bahn, denn die repräsentieren ja keinen echten
Gott, der dem Mammon und dessen Regentschaft wirklich gefährlich werden könnte...
ne, mit denen werden Geschäfte gemacht, und dann mit den resultierenden Kriegen nochmal.

Nö. Lieber Wolfgang, das war keine Gotteslästerung. Es ist gar nicht okay, dass Du das selbst so bezeichnest.
Warum ? In der Schrift steht, dass Gott sich bedient, wessen er will.
Und so habe ich schon bald gelernt, dass er nicht unbedingt spricht durch jene,
die meinen, ihn zu „vertreten“ bzw „für ihn zu arbeiten“,
sondern gerne auch durch Menschen, von denen man es nicht erwartet...
und die es auch selber gar nicht wissen.
Und der „Fanatiker“ Rupert nimmt nicht nur diese Leute so, wie sie sind,
d.h. OHNE dass sie an (seinen ?) Gott glauben müssten
(er würde halt nur gern auch im Gegenzug so genommen werden, wie er ist).
Für mich ist es klar: Im „schönen Jrooß“... da hat er (Gott!) sich des Agnostikers Niedecken
bedient, dessen Enttäuschung und Wut, dessen Verletzung ziemlich sicher
auch die seine war/sein müsste:
Ich höre hier tatsächlich irgendwie die „Stimme Gottes“, tat ich immer.
Wie eine Warnung, vielleicht sogar „die letzte“, sagt er:
„Euch ist nichts mehr heilig, was ihr hier veranstaltet ist der reine Wahnsinn,
hier gehen Menschen en Masse vor die Hunde und statt mal damit anzufangen,
auf mein Wort zu hören, benutzt ihr auch noch mich als Euren Rechtgeber...
dann tut es doch gleich offen und auf diese Weise,
das würde letztlich auch keinen Unterschied mehr machen,
denn so seid ihr, und ihr macht mich zornig, denn ihr macht alles kaputt !“.

Und hier, hier komme ich an einen Punkt, wo auch ich zu fluchen beginne,
so sehr regt mich das auf...:
Verd... nochmal, was soll das, lieber Wolfgang ? Die neue Strophe ist nicht schlecht,
es ist besser so als ohne dritte Strophe, aber die alte... die war's.

Die Wertung derselben als "Gotteslästerung" ist geradezu pervers.
Sie war (und ist leider, leider... auch wenn Du Dich dabei unwohl fühlst) unvermeidlich und bitter nötig.
Klar, wie Du leben und was Du tun sollst... das hab auch ich Dir nicht zu sagen.
Aber warum verpasst Du Dir selber (im Nachhinein) diesen Maulkorb ?
Man muss nicht immer alles selbst (noch) so sehen wie das „Lyrische Ich“ in einem Lied.
Klar, wer „authentisch“ sein will, der singt von sich selber...
aber letztlich erzählen alle guten Lieder eine Geschichte,
und es ist dabei gar nicht mehr wichtig, ob das LI mit dem Erzähler selbst identisch ist
bzw ob man dessen Meinung teilt... man wird dann halt zu einer Art "singender Schauspieler" (wie auch Bowie oft einer war).
Es ist natürlich schwieriger, wenn es da eine tiefere, persönliche Bindung gibt,
wenn man ein Lied gemacht hat wie Du die „Anna“...
das entstand ja „für“ jemanden bestimmten, klar, und Du siehst es heute anders.
Wie gern du diesen Menschen hast, das wird sogar heute noch, bei „Miehstens unzertrennlich“,
klar. Aber es ist doch auch klar, für jeden denkenden und fühlenden Menschen,
der die alte „Anna“ hört, dass Du sie eben auf deine, damals unbeholfene, Art geliebt hast
bis fast in den Wahnsinn, und dass es trotz aller „bösartigen“ Auswüchse oder
gerade deswegen ein Liebeslied ist, das zu Herzen geht...
verstehst du, was ich meine ? Es muss gar nicht so viel mit der „echten Anna“ zu tun haben,
es ist ein Lied ganz genauso für Männer, die verzweifeln an einer Frau,
die sie eben so lieb(t)en, wie Du damals diese, ein Lied, mit dem sich viele identifizieren können.
Es ist dabei doch zweitrangig, ob und inwieweit die Männer da „selbst schuld“ sind,
(klar sind wir es)... es ist so wunderbar, dass da jemand derart sprachgewandt und frech
die Gefühle ausdrückt, die zum „ich pack et nimmi“ führen.
Und die „echte Anna“... ist die denn wirklich verletzt dadurch ?
Im Schlimmsten Fall kann die doch denken „ey, wie lange macht der sich noch öffentlich zum Affen ? Is es ihm ned peinlich ?“... ja, eben, es ist Dir peinlich, aber es braucht Dir nicht
peinlich zu sein, denn... wir, die alten BAP-Fans, dammi, die lieben es, die lieben DICH doch
grade dafür, wir sind alle nicht perfekt...
echt, ich bin grade und vor allem deswegen zum Fan geworden,
weil der Niedecken sich eben so richtig was traute.
Und das hast Du gemeinsam mit Deinen Helden, den Stones, dem Dylan, den Kinks...
die wären doch gar nicht so gut, wenn sie nicht auch frech genug gewesen wären,
einfach mit so Sachen an die Öffentlichkeit zu gehen, die sich vorher keiner getraut hat.
Und „Provozieren um des Provozierens Willen“ ist es doch trotzdem nicht...
bei Dir auf keinen Fall, nie gewesen. Du „musst“ mMn auch für den Menschen, der Du warst,
Verständnis aufbringen lernen, wenn Du Deine Arbeit selbst korrekt einschätzen willst.
Ich denke grade an den „Vollkassko-Desperado“.
Was hat der Dillo gesagt ? Früher wärst Du „politischer“ gewesen ? Das ist Unfug,
kompletter Unfug. Und das weißt Du. Und ob Du früher besser warst als heute,
das kann tatsächlich bezweifelt werden, weil die Konzerte sind super, die Band ist super,
die Platte ist richtig gut. Klar, als altem Fan sind es vor allem die alten Lieder,
die mich dann live wieder so richtig begeisterten.
Bei „Jraaduss“, ist ja auch ein wunderbares Liebeslied für „Anna“,
vielleicht das schönste von allen, habe ich tatsächlich geflennt,
ich alter, sentimentaler Sack.

Aber et ess ejal, weißte... die Geschmäcker sind verschieden und wer
„Miehstens unzertrennlich“ besser als "Jraaduss" findet... oder
„Absurdistan“ besser als „Drei Wünsch frei“, nur als Beispiel,
der hat meinen Segen, und als Künstler, das ist klar,
will man nicht jahrelang vergangenen Erfolgen hinterherlaufen, da will man
voll auf der Höhe seiner Schaffenskraft sein und auch rezipert werden.
Letztlich aber zählt nur, dass es gut ist...
dass man macht, was man liebt...
und dass sich der Kreis schließt,
dass man für das, was man macht, sein Publikum findet.
In diesem Punkt bist Du eigentlich ununterbrochen erfolgreich geblieben,
und das kann man wirklich zurecht feiern... die „Zugabe“ sowieso,
es ist wunderbar, dass Du wieder ganz auf die Beine gekommen bist
(mein Papa, der 2001 verstarb, hatte 1977 den ersten und 1979 den zweiten Apoplex,
er erholte sich zeitlebens nie mehr richtig davon).
Aber eins war früher wirklich besser, Wolfgang:
Keinerlei Schere im Kopf. Was raus musste, das durfte ungefiltert raus,
da wurde nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, nur weil man damit jemandem
auf die Zehe treten konnte, dem man nicht wehtun will.

Nunja, der "Vollkassko-Desperado" tut Dir hoffentlich nicht auch schon wieder leid.
Ey, es sind „nur“ Lieder. Und politisch--- müssen die gar nicht sein.
Wenn sie es sind und dazu noch so gut wie „Vision vun Europa“... super.
Mein Liebstes von „Lebenslänglich“ ist aber „Auszeit“.
Mein Liebstes von „Amerika“, einem Album, das ich gar nicht so mag,
ist übrigens „Saach, wat ess bloß passiert“.
Es ist das lebendigste auf diesem für mich zum großen Teil leider tot klingenden Album.
Rat mal warum...
Ey, Wolfgang, bitte denk drüber nach, der Herrjott meint es doch joot mit Dir...
übrigens, der „junge Fan“ wird sich Euch noch ein zweites Mal auf dieser Tour antun,
weil das erste mal auch für ihn so toll war...
auf die nächsten 40 Johr...

Mit schönem Jrooß
Dein Rupi
(am 29. Oktober 2016)