CDs die man haben sollte 2

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2019

Chris Rea - Shamrock Diaries (remastered & expanded mit Bonus CD) & 4 weitere

(Magnet/Warner)


Als Chris Rea Anfang 1985 das in Irland entstandene Album "Shamrock Diaries" veröffentlichte,

war es gerade 2 Jahre her gewesen, dass er sich ernsthaft überlegte, seine Musikkarriere zu beenden

und ein italienisches Restaurant zu eröffnen. Seine Plattenfirma Magnet hatte derart wenig Interesse

am damals aktuellen Album "Water Sign", dass sie, statt Rea das Budget für die geplante Produktion

zu gewähren, einfach kurzerhand das von ihm angefertigte Demo veröffentlichte,

durch das es dann zur "Wende" kommen sollte, denn "Water Sign" verkaufte sich unerwartet gut,

vor allem in Deutschland und Irland, hatte mit "I Can Hear Your Heartbeat" auch einen richtigen

Ohrwurm und Hit mit dabei und der Rest ist Geschichte, denn auch "Wired to the Moon"

verkaufte sich danach gut und das neue Album konnte schließlich mit ordentlichem Budget

als große Produktion verwirklicht werden, wo Rea damals den größten Publikumszuspruch fand.

Was für Erfolge Rea jedoch in den folgenden Jahren feiern würde, hätte damals wohl niemand

gedacht, und so richtig los ging es eben mit "Shamrock Diaries", einer recht melancholischen Platte,

deren 10 Lieder bis heute zu den besten zählen, die Rea je veröffentlicht hat.

Naja, "Chisel Hill" ist vielleicht dann doch nicht so gut wie die anderen 9 ausgefallen,

aber schon der Beginn bietet mit "Steel River" einen Klassiker, der in den folgenden Jahren

immer wieder gerne live gespielt und gehört wurde und mit "Stainsby Girls" einen veritablen Hit.

Der größte Hit der Platte jedoch wurde das Lied für Chris' erste Tochter namens "Josephine",

dessen Originalversion nun, da diese CD als Remaster neu veröffentlicht wurde,

endlich wieder an ihren Platz zurückgekehrt ist, denn als Warner im Jahr 1988 den Vertrieb

von Magnet übernommen hatte, wurde das Album auf CD quasi entstellt,

indem sie ausgerechnet dieses Lied durch dessen "french re-recording" ausgetauscht hatten.

Aber Warner hat nicht nur diesen Fehler wieder gut gemacht,

sondern mit der Bonus-CD voller Single-Versionen, B-Seiten, sonstigen Non-Album-Tracks

und Liveaufnahmen (darunter eine sehr schöne, bisher unveröffentlichte Montreux-Version des Titellieds)

noch eins draufgelegt und, was bei Remasters ja mittlerweile wichtig ist,

trotz Erhöhung der Lautstärke das Ganze nicht durch "Brickwalling" versaut,

will sagen... das Remastering ist wirklich gelungen, sodass man das Ganze auch

wunderbar unter Kopfhörer genießen kann ohne wegen Übersteuerungen zu leiden.

Und dabei kommt wieder zum Vorschein, was für wunderbare Lieder z.B. "Stone"

(später von Paul Rogers/Bad Company auf dem "The Law"-Album gecovert)

und "Hired Gun" sind. Die Produktion von David Richards (u.A. Queen & David Bowie)

legte viel Wert auf subtilste Kleinigkeiten und das "Keyboard-Team" von Max Middleton

(Jeff Beck Group) und Kevin Leach ergänzte sich, wie auch beim Folgealbum "On the Beach",

einfach wunderbar. So lange es auch gedauert hat, so sehr haben sich die Neuauflagen gelohnt,

die mit "Shamrock Diaries", "On the Beach", "Dancing With Strangers",

"The Road to Hell" und "Auberge" nun Rea's erfolgreichste Alben alle mit Bonus-CD neu präsentlieren,

inkl. informativen Liner-Notes in den liebevoll gestalteten Booklets (mit Interview-Kommentaren von Rea selbst

angereichert !). Und als ob dies nicht genug wäre, hat sich Rea's spätere Plattenfirma Edel

auch noch dazu durchgerungen, die 2003 entstandenen und lange vergriffenen Instrumental-CDs "Hofner Blue Notes"

und "Blue Street (Five Guitars)" wieder neu aufzulegen, von denen ich vor allem "Hofner Blue Notes"

(die "blaue", nicht zu verwechseln mit der "roten" namens "The Return of the Hofner Blue Notes" !)

nachdrücklich empfehlen will, die den Bass (von Colin Hodginson) als Lead-Instrument sensibelst

in den Vordergrund stellte und zu Rea's schönsten Produktionen gehört -

die allerdings ist eher dem Jazz zuzuordnen, während "Shamrock Diaries" uns in Erinnerung

zurückruft, wie gut Chris Rea auch schon lange vor seinem "Schwenk" zum Blues gewesen ist,

und ihn mit der Musik präsentiert, die ihn für eine Zeit lang zum richtigen "Star" machte,

die (wie's Original auch wunderbare) Single-Version von "Josephine" natürlich inklusive.

Endlich ! Nun, wenn möglich, auch noch dasselbe für die 2 Vorgängeralben,

und der Fan und Sammler ist vollständig befriedigt (was allerdings wohl von den Umsätzen

dieser Neuauflagen abhängen wird, denke ich...).

 

Rupi am 13.11.2019


2018

Woolly Wolstenholme (& Maestoso) - Strange Worlds (A Collection 1980-2010)

(Esoteric/Cherry Red) VÖ: 27.Juli 2018

 

Noch habe ich keine Empfehlung für 2017 abgegeben, aber für 2018 kann es nur eine geben,

und das ist diese Box mit 7 CDs, die fast alles zusammentragen, was Woolly Wolstenholme

als Solokünstler bzw. unterm Namen "Maestoso" veröffentlicht hat.


Fast alles, weil "alles, was fehlt", die Bonus CD "Second Splash" ist, die der limitierten Auflage

des Albums "One Drop in a Dry World" beilag, ansonsten... gibt es alle Originalalben

inkl. des (ebenfalls einst limitierten) Livemitschnitts "Fiddling Meanly" plus eine CD

mit Raritäten und unveröffentlichten Tracks, sodass... hier keine Wünsche offen bleiben.

Wie ich bereits unter meiner Extra-Rubrik "Woolly" geschrieben habe, war dieser Mann ein künstlerisches Genie,

und zwar eins von der Sorte, wie sie unsere Welt einfach nicht verdient.

Kürzlich sagte ich einem Freund, dass ein Woolly durchaus mal "daneben langen" konnte,

aber egal, was er tat, eins war es nie: UNORIGINELL.


ein Mann voller überbordender Talente und Ideen, der sich nichts aus Kommerz machte,

dessen Herz für die Musik schlug und der zeitlebens nicht bekam, was er verdiente -

weder an Anerkennung und Geld noch an menschlichem Lohn für Opfer und Arbeit,

er musste sich ja jahrelang als Bauer verdingen, weil er aus dem Musikbusiness nicht

das Vertrauen bekam, weiter zu machen, nachdem sein erstes (und für lange Zeit einziges) Album "Maestoso" (1980)

gefloppt war, während seine ehem. Bandkollegen von Barclay James Harvest ohne ihn zwar nie wieder

so gut waren wie zuvor, aber dennoch weiter Erfolge feiern konnten.

BJH ist natürlich ein Stichwort: Als Songschreiber war Woolly dort ja längst zum "dritten Glied" geworden,

und daher mehr als Ideengeber und Arrangeur für die Lieder von John Lees und Les Holroyd tätig,

sodass ihn diese Rolle zusehends unbefriedigt zurückließ, als deren Lieder sich stilistisch immer mehr

von seinem Geschmack entfernten.


Seine wenigen Beiträge waren zuletzt immer Höhepunkte der jeweiligen Alben gewesen,

ob das nun "Ra" (auf Octoberon) war oder "Sea of Tranquility" (auf Gone to Earth) oder zuletzt,

auf "XII", die wunderbaren "In Search of England" und "Harbour".

Die Erwartungen an sein erstes Solo-Album waren entsprechend hoch,

und mMn konnte er ihnen nicht gerecht werden, weil er zu sehr in die Breite ging,

im Bestreben, das "Fehlen" seiner Ex-Kollegen "auszugleichen".

So gab es auf "Maestoso" (1980) neben Meisterwerken wie "Patriots", "A Prospect of Whitby" und "Waveform"

auch Unausgegorenes wie "Sail Away" oder "Gates of Heaven",

außerdem Verschrobenes wie "Quiet Islands"

und Überkanditeltes wie das Titelstück, welches 1974 für's BJH-Album "Everyone is Everybody Else"

aufgenommen aber dann nicht verwendet wurde, während "Lives On the Line" und "American Excess"

extrem viel Zeit brauchten, um bei mir "anzukommen".


Das Nachfolgealbum "Black Box" (1982) wurde nach dem Flop leider nicht mehr vollendet,

wäre mMn nach, weil schon deutlicher von BJH entfernt, aber besser ausgefallen...

"Deceivers All", "Too Much, Too Loud, Too Late", "Has to be a Reason" sowie das ruhige "The Will to Fly"

ragen heraus aus den in den 90ern zuerst veröffentlichten 82-er Demos,

die zusammengefasst auf der zweiten CD "Black Box Recovered" zu finden sind,

auf der sich auch die "Bootham Park Elegy" befindet,

ein wundervolles, an Sting erinnerndes Demo von 2004, welches andeutete, was kommen würde...

nämlich Woolly pur mit dem sensationellen Spätwerk, das aus der Trilogie "One Drop in a Dry World" (2004,

die lebendigste und daher mein Favorit), "Grim" (2005, die perfekteste) und "Caterwauling" (2007,

nicht mehr so energetisch und fokussiert, dennoch insg. deutlich überm Durchschnitt) besteht,

CDs, die derart gelungen sind, dass sie den Preis für die Box

allein schon rechtfertigen, denn... sie schlagen letztlich alles, was Barclay James Harvest ohne Woolly

gemacht haben und auch vieles, was es mit ihm zur Veröffentlichung gebracht hat.


Auch Leute, die BJH nicht mögen, sollten sich diese Alben mal anhören -

denn sie präsentieren uns das ganze Genie dieses Mannes, daran ändert auch das "Low Budget"-Siegel nichts,

das man ihnen anheften kann - denn auch wenn sie teils gewöhnungsbedürftig klingen/produziert sind, die

Echtheit, Tiefe und Musikalität eines Woolly Wolstenholme, sein Ideenreichtum und künstlerischer Wagemut...

das zeigen diese Scheiben überdeutlich... sie finden kein Pendant, sie bleiben einzigartig und letztlich...

ein unbezahlbarer Hochgenuss für jeden Musikliebhaber, der mit offenen Ohren zuhört.

"Blood and Bones"... "2 AM"... "Through a Storm"... "Harp and Carp"... "Soldier of Fortune"... "Shoes"....

wem das zu "schwierig" ist, der soll eben Dieter Bohlen hören...

denn irgendwie ist Woolly das genaue Gegenteil dessen gewesen, was Bohlen als Musiker für mich verkörpert.

Unendlich wertvoll nämlich.

 

"Fiddling Meanly", 2005 live direkt vom Mischpult mitgeschnitten,

könnte natürlich besser klingen, bleibt aber ein großer Schatz inkl. Maestoso-Versionen von BJH-Tracks

wie "The Poet/After the Day", "In Search of England", "Poor Wages" sowie das explizit dem damals gerade

verstorbenen Mel Pritchard gewidmete "Early Morning", die erste BJH-Single aus dem Jahre 1968.

Das Cover der Box ziert ein wunderbares Foto der Parkbank, die zu Woolly's Andenken errichtet wurde,

und auf die CD "The Unlost Works" mit massig unveröffentlichten Sachen darf man sich freuen,

aber auch ohne sie zu kennen steht meine Empfehlung fest:

Diese Box ist ein Muss... und... lieber Woolly... Du fehlst, Du bist und bleibst unersetzlich,

es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Dich denke...

wir hatten Dich einfach nicht verdient.

Rupi am 22.05.2018


Edit 15.09.2018:

Nun, da ich die Box endlich besitze, kann ich auch noch Auskunft geben über die Aufmachung - großartig,

auch das Booklet ist sehr informativ, allerdings fehlt der Name der Duett-Partnerin, die "Pas de deux" zusammen mit Woolly singt

(auf "Grim"): Susannah d'Arcy ! - und "The Unlost Works" - auch sehr schön, zu großen Teilen aber instrumental,

da entweder noch gar kein Text vorhanden war ("Bill's Song" - funktioniert aber auch wunderbar ohne Gesang !)

oder es werden einfach "Nananana's" gesungen, wo die Worte noch fehlen ("It's a Dream"/"Winter World"),

natürlich ist das schade, aber besser man bekommt die Lieder so... als überhaupt nicht zu hören.

"Fertig" wurden "Brian Maclean" (sehr schön !), "The Light at the End of the World" (ganz sicher eins von Woolly's

schönsten Stücken !) "A Funny Kind of Blue" (was das mit Willy Nelson zu tun hat, kann man den lieben Woolly

leider nicht mehr fragen...) und "The Streets of This Town" (hätte gut auf "Nexus" gepasst),

und begeistert bin ich vom abschließenden "Death in Oldham", eine kleine Symphonie...

Interessant für BJH-Fans ist sicherlich "Betlehem", denn das ist eine John Lees-Komposition,

die Woolly dann so arrangiert hat, dass man's kaum noch merkt ;-)

Insgesamt: Es lohnt sich wirklich sehr, das erste Album gefällt mir mittlerweile deutlich besser,

auch wenn der Einstieg bzw. die ersten 2 Lieder es mir immer noch schwer machen,

bei "Black Box Recovered" ist die Klangqualität der Demos nicht immer erste Klasse,

vor allem das Band von "The Will to Fly" (was ja eins der schönsten ist !) hat arg gelitten,

aber das bekommt man dafür auf "Fiddling Meanly" in einer wunderbaren Live-Version.


Mein Tipp: Weder sparen noch warten. Die CDs von Esoteric werden für gewöhnlich nicht günstiger

sondern verschwinden nach Abkauf der Auflagen und dann wird's richtig teuer...

und die 45 Euro, die das Ding kostet, sind eigentlich sogar zu wenig für den musikalischen Gegenwert,

da die CDs aber in einfachen Papphüllen (mit Originalcovern natürlich) drin stecken und sowohl Texte alsauch Originalbooklets fehlen,

geht es dann doch in Ordnung. Es ist mittlerweile genug Zeit vergangen, dass ich die Musik anhören kann,

ohne gleich von Trauer (oder Wut) übermannt zu werden, trotzdem sei's noch mal ausdrücklich gesagt:

Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wie unsere Welt mit ihren wahren Genies umgeht.

Es hätte alles nicht nur anders laufen können... sondern müssen.

Rupi


2016

Marillion – F.E.A.R.

(earMusic/Edel)

 

Auch wenn ich Marillion nun schon seit langem lieber mag mit Steve Hogarth am Mikro

(statt Fish, dem viele Altfans vor allem in Deutschland seit den 80ern hinterhertrauern),

sehe ich die beste Zeit dieser Besetzung als nun auch schon einige Jahre her an,

und nach „Sounds That Can't Be Made“ waren meine Erwartungen an das neue Album

wirklich nicht mehr allzu hoch, will sagen... es genügt mir nicht,

wenn die fünf großartigen Musiker , wie dort geschehen,

einfach nur noch „neue Songs“ aus vertraut klingenden Versatzstücken

zusammenbasteln und dabei wie eine Tributband an sich selbst erscheinen,

die ans Original in seiner einstmaligen Kreativität und Vielfalt leider nicht heranreicht.



Bereits als 2004 das klanglich schwer beeindruckende, allseits beliebte „Überalbum“ namens „Marbles“ erschien,

bemerkte ich einen inversen Energieverlust,

der – gemeinsam mit dem Erfolg bei den Fans, der sich erwartungsgemäß einstellte –

für die Weiterentwicklung der Band zum Damoklesschwert werden könnte.

In die Falle, die sie danach komischer Weise dennoch immer wieder irgendwie umschiffen sollten,

waren sie zuletzt eben doch hineingetappt,

die Falle, damit zufrieden zu sein, einfach nur noch nach Marillion zu klingen und damit bereits existierende

aber auch abschätzbare Erwartungen zu erfüllen,

statt – auch um den Preis, alte Hörer zu verprellen, wie in den Jahren von 1997 bis einschließlich 2001 -

kreative Risiken einzugehen und dabei wirklich mit jedem Album

tatsächlich Neues zu schaffen.

Auch wenn „Brave“ von 1994 bis heute mein Lieblingsalbum blieb, so brauchte ich dasselbe ja nicht ein zweites Mal

und war mehr als glücklich mit den Songs und Alben aus der gerade genannten, der für mich spannendsten Zeit von Marillion.



Ich hab sie eben gern lebendiger als zuletzt, also bringe ich es mal so auf meinen Punkt:

Zehn Mal lieber „Radiation“ als „Holidays in Eden“,

fünfzig Mal lieber „Anoraknophobia“ als „Afraid of Sunlight“,

und vor allem hundert Mal lieber „Marillion.com“ als „Sounds That Can't Be Made“.

Und eigentlich war diese Zeit eben bereits mit „Marbles“ vorbei, so sehr ich sie (und auch

die oft geschmähte „Somewhere Else“, „Essence“ sowieso) als langjähriger Fan

und treuer Hörer liebe. Wir alle werden älter und haben dann nicht mehr dieselbe Energie,

können uns deshalb auch nicht von Mal zu Mal neu erfinden, geschenkt.

Aber die lange Entstehungsdauer von „STCBM“ ließ das Endergebnis umso enttäuschender klingen,

und für „Fuck Everyone And Run“ brauchten die Jungs nun tatsächlich noch länger,

womit meine Erwartungen schon auf ein Minimum heruntergeschraubt worden waren.

Dann die Nachricht, es handle sich um ein Konzeptalbum mit hauptsächlich Longtracks,

Vorausvergleiche mit „Brave“ und auch „Marbles“, der Gedanke lag schon sehr nahe,

dass Marillion mal wieder ihrer eigenen Vergangenheit hinterher laufen,

um es nur ja den treuesten Fans recht zu machen,

die seit „Marbles“ immer wieder enttäuscht worden waren... es sei denn,

sie fanden dann „STCBM“ tatsächlich so toll, wie sie, mit auffallend ähnlichen Attributen versehen,

hat sein sollen. Konnte das gut gehen ?



Überraschung: Ja, es konnte, es ist gut gegangen mit „F.E.A.R.“, und zwar, weil in den fünf

nicht mehr so jungen Herren eben doch noch Leben steckt und genug Kraft und Inspiration

vorhanden war, um dieses Mal so gut wie alles richtig zu machen, was bei „STCBM“ so schmerzhaft schief gegangen war.

Zwar sind auch hier die Lieder mehr oder weniger zusammengestückelt, aber sämtliche Einzelteile sind so delikat,

dass sie sich nach mehrfachem Hören dann doch subtil zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen.

Zwar klingt hier alles, von Anfang bis Ende, nach „Marillion, wie wir sie kennen“,

aber diesmal keinesfalls bemüht oder verkrampft, sondern erstaunlich frisch und tatsächlich unter die Haut gehend,

denn auch wenn das meiste eher ruhig dahinfließt, es sind massenweise Ideen vorhanden,

die alles interessant machen und einen immer wieder aufhorchen lassen.

Mit einem Mark Kelly in absoluter Topform und befreit von allem vordergründig Knalligen, welches den Vorgänger zur

auralen aber auch emotionalen Vergewaltigung machte, ist – aus musikalischer Sicht -

F.E.A.R.“ soetwas wie „STCBM in gut“ und für Liebhaber von 70er Jahre-Prog damit ein verführerisches Nugget,

bei dem man doch immer wieder fasziniert wird vom eigentlich Altbekannten.



Ist schon erstaunlich gut auch da, wo es Reminiszenzen an die eigene Vergangenheit zu hören gibt,

denn diese sind hier mit so viel Liebe und Können eingeflochten worden,

dass man sich einfach nicht drüber beschweren sondern lieber mit der Band zusammen auf Entdeckungsreise gehen will.

Marillion verleugnen sich also nicht selbst, sondern punkten diesmal ausgerechnet damit,

niemand sonst als sich selbst sein zu wollen, und so, unter dieser Prämisse,

gefällt mir „F.E.A.R.“ dann doch tatsächlich besser noch als „Marbles“.

Das hätte ich nicht erwartet... und viele Kritiker der Band wohl auch nicht.

Ich kann nicht sagen, dass dieses Album mir meine Zweifel daran nimmt,

ob die Band denn tatsächlich den richtigen Kurs eingeschlagen hat,

aber es gefällt mir, im Hier und Jetzt, ausgesprochen gut, auch die Texte.



Aus englischer Sicht ist „F.E.A.R.“ ein Soundtrack zum „Brexit“,

Hogie's Worte müssten vor allem der britischen Hörerschaft unter die Haut gehen,

aber in ihrer Essenz sprechen sie auch zum „Rest der alten Welt“,

denn die Ängste und deren Ursachen sind überall dieselben,

die hier ganz deutlich angegangenen Nutznießer ebenso.

Großes Kopfkino und ganz sicher – wer hätte das noch erwartet ? - eins

der besseren Marillion-Alben mit Hogarth. Mal sehen, ob es jetzt nicht doch wieder bzw

noch ein Mal spannend wird, oder ob wir hier – für's Spätwerk der Band – eine löbliche Ausnahme vor uns haben.

Bei ihnen kann man's letztlich ja doch nie im Voraus wissen, egal, womit sie dann wieder ankommen werden...

das stilistische Feld ist nun zwar schon lange abgesteckt,

aber eben auch derart breit gefächert, dass man eben doch nicht mit Bestimmtheit sagen kann,

was einen in Zukunft noch so alles erwartet. Live waren sie letztes Jahr in fantastischer Form,

energetisch wie eh und je, mit Steve Hogarth als bleibendem Glücksfall für diese Band,

da gibt es mit mir keine Diskussion.

Und „F.E.A.R.“ gehört ganz oben auf die Liste der „Alben des Jahres 2016“ !

Anspieltipp: Alles bzw. am Allerbesten hört man es sich mehrfach hintereinander komplett an.

Rupi an seinem 52. Geburtstag.

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2015

Joe Jackson - Fast Forward

(earMusic/Edel)


Joe Jackson, das hieß für mich "Night and Day", "Body and Soul" und "Big World",

gerne auch Sachen von davor, aber - außer Live-Alben - bitte keine Platten mehr von danach...

was bedeutet, dass bereits mit den ausklingenden 80er Jahren für mich "Schluss" war.

"Blaze of Glory" ? Langweilig. "Laughter and Lust" ? Bemüht.

Tja, und mit der Ankündigung, keine Popmusik mehr machen zu wollen,

um als zeitgenössischer Komponist ernst genommen zu werden,

hatte er mich dann endgültig "verloren", der gute Joe.

Das ist nun schon alles lange her, klar. Und natürlich kam er von der Populärmusik

dann doch nicht los, der kleine Punk mit dem Musikhochschulabschluss für Komposition.

Ja, so hab ich ihn irgendwie immer gesehen: Als studierten Punk, der natürlich viel zu viel

kann, um es dann auch lange durchzuhalten mit der Punk-Attitüde,

auch wenn der Rebell in ihm natürlich immer wieder aufblitzen sollte...

es sollte schon, nachdem die ursprüngliche "Joe Jackson Band" aufgelöst war,

alles perfekt klingen, sollte makellos produziert, gespielt und gesungen sein,

"3 Akkorde und die Wahrheit" waren diesem Mann und seinem Talent dann doch

nicht angemessen und damit viel zu wenig.

Eher schon entfloh er den selbst aufgebauten Erwartungen mit Kuriosem

und verweigerte sich dabei z.B. mir bzw. meinem Musikgeschmack,

nach dem er mit den genannten "Night and Day" und "Body and Soul"

zwei Meilensteine der 80er Jahre vorgelegt hatte, Platten, die ich für immer

heiß und innig lieben werde, Platten, mit denen er sich in meinem Leben

verewigt hatte, um dann bald schon... einfach zu verschwinden.



Ja, verschwunden war er längst. Ohne je wirklich weg gewesen zu sein, das muss gesagt werden,

aber ich hatte es aufgegeben, aus meiner Sicht hatte Joe eben gar keine Böcke,

ausgerechnet die Platten zu machen, die ich gerne von ihm gehört hätte.

Richtige Nachfolger für "Night and Day" und "Body and Soul" eben.

Grad weiter so, am besten für immer, denn besser geht es nicht,

da mag ich vor allem LP-Seite 2 von "Big World" noch so sehr lieben,

bereits mit dieser Scheibe begann eigentlich schon die Verweigerung,

denn er ging mit den damals neuen Songs ja gar nicht mal erst ins Studio...

also ich hätte gerne eine weitere Referenzscheibe mit auch größeren Arrangements

von "Shanghai Sky", "We Can't Live Together", "Fifty Dollar Love Affair", "Forty Years"

aber auch "Survival", "The Jet Set", "Soul Kiss" und natürlich "Right and Wrong" gehabt.

Vielleicht hätte mir dann, in andrem Gewand, sogar auch "Home Town" besser gefallen,

ein Lied, das ja ziemlich populär ist bei anderen JJ-Fans, mir aber bereits nicht mehr...

rund genug ? Ausgefeilt genug ? Gar Tief genug ? Egal.

Ich mag sie ja, die "Big World", und für "Blaze of Glory" marschierte er ja dann

mit Riesenensemble ins Studio und es hat auch nichts gebracht,

wieder konnte ich das viele Fan-Lob nicht nachvollziehen...



...und nun ist er wieder da. Einfach so, als wär nix gewesen, als wär überhaupt nix passiert,

fast 30 Jahre hat er gerade mal so ausgeblendet, um endlich, endlich abzuliefern...

nämlich genau die Platte, die eigentlich damals nach "Body and Soul" hätte kommen sollen,

kommen müssen. Die Platte, die ich von ihm erwartet hatte und jahrelang doch nicht bekommen sollte.

Was soll ich nur davon halten ? Hat er mich die ganze Zeit über denn bloß verarscht ???

Egal, "Fast Forward" ist brilliant. Das Titelstück, "If It Wasn't For You", "A Little Smile",

"Far Away", "So You Say", "If I Could See Your Face", "The Blue Time", "Satellite"...

und, über allem thronend, das absolut unwiderstehliche, Steely Dan-Award würdige "Kings of the City"...

lieber Himmel ist das ein Fest für die Ohren, und ich habe hier nur die Lieder aufgezählt,

die von diesem Album unbedingt auf ne "Best of" müssten.

Bewundernswert. Vielleicht sogar zum "auf die Knie fallen".

Ich mag selbstverständlich auch die anderen, ich mag die ganze Scheibe sehr,

und Joe Jackson... den mag ich eben, nach langer Pause und betr. "Neueres", nun wieder.

Ich habe ihn wieder in mein Leben aufgenommen, mit herzlicher Umarmung sogar,

und es wäre schön, wenn er diesmal bleibt, gerne auch für länger,

aber natürlich habe ich die allerschlimmsten Befürchtungen,

denn irgendwie trau ich ihm nicht... ich trau ihm lediglich alles zu.

Wie gut, dass ich meiner Neugierde folgte und die teuflisch anmutenden 6.66 Euro investierte,

als ich die CD im Angebot sah. Ich wüsste sonst noch gar nicht, was ich verpasst hätte.


Rupert am 11.01.2017

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2014

New Model Army – Between Wine and Blood

(earMusic/Edel)


Tja, es fällt auf, weshalb ich meiner Rezension nun gleich etwas voraus schicken möchte:

Nein, ich werde nicht von der Firma Edel gesponsert, dass ihr Label earMusic hier doch stark gefeaturet wird,

liegt einfach daran, dass mittlerweile viele Acts „von früher“ dort ein „Zuhause“ gefunden haben.

Acts, die den „großen Industriefirmen“ im Tonträgerbereich (Universal, Warner, Sony/BMG),

die übrigens so groß nun auch nicht mehr sind,

nicht mehr profitabel genug erschienen, um sie zu behalten,

die aber dennoch weiterhin neue Platten aufnehmen und in

die Einzelhandelsgeschäfte stellen möchten.

Wenn es hier also CDs des Labels earMusic sind,

die ich empfehle, so ist dies mehr Zufall als sonst was,

denn nicht alle Acts „von früher“ sind dort gelandet,

John Lees' Barclay James Harvest z.B. sind bei „Eclectic“,

Klaus Hoffmann's eigenes Label „Stille Music“ ist seit Jahren bei „Indigo“...

aber earMusic fällt schon auf,

weil dort eben viele große Namen von ehedem ihre aktuellen Scheiben rausbringen,

im April dieses Jahres z.B. auch wieder Deep Purple.



New Model Army sind nun auch schon viele Jahre „independent“ unterwegs,

ihr Label „Attack Attack“ war zunächst bei Rough Trade im Vertrieb,

und dort „bekommt“ man auch noch immer ihre Alben von „Strange Brotherhood“ (1998)

bis „Today is a Good Day“ (2009),

doch seit 2013 haben Justin Sullivan und seine Mannen eben auch einen Deal mit earMusic/Edel,

und dort gab es bisher 3 Veröffentlichungen:

Between Dog and Wolf“,

Between Wine and Blood“

sowie das 2016 erschienene, neueste Album „Winter“.



Bei der Band selbst gab es üppige Editionen von „Between Wine and Blood“ zu bestellen,

ich will hier lediglich die Doppel-CD besprechen, die in den „normalen Handel“ kam,

bestehend aus einer EP mit damals 6 neuen Studio-Aufnahmen und einer 11-Track-Live-CD,

deren Lieder alle vom zuvor erschienenen Album „Between Dog and Wolf“ stammen.

Die üppigen Editionen beinhalten vollständige Konzerte mit Liedern aus allen Phasen

der Band, für den Einzelhandel schien das nicht so attraktiv zu sein, jedenfalls „begnügte“

sich earMusic/Edel mit dieser seltsamen „Zwischenveröffentlichung“,

bei der man sich auch als Fan zunächst fragte, ob man die denn nun wirklich auch noch braucht,

schließlich sind gerademal 6 neue Lieder nicht sonderlich viel,

und ein Livealbum mit lauter Songs, mit denen man gerade erst mal warm geworden war,

aber ohne auch nur einen Klassiker von zuvor,

den man als Kaufanreiz dann doch gerne noch mitgenommen/gehabt hätte

(wenigstens „Today is a Good Day“ ?)...

war das wirklich nötig ?



Tja, man kauft sich das Ding als Fan dann eben doch.

Man hofft, dass die Qualitäten von NMA als formidabler Live-Act den relativ neuen Tracks genug Mehrwert verleihen,

dass man sie sich zurecht nun fast komplett noch mal live erworben hat,

und vor allem hofft man, dass sich einem der Sinn des Ganzen beim Anhören erschließen mag.

Und das Schöne an „Between Wine and Blood“ ist,

dass diese Hoffnungen sich dann derart überwältigend erfüllen, dass einem geradezu die Spucke weg bleibt.



Die EP braucht ihre Zeit, das sage ich hiermit gleich.

Sie macht zwar sofort einen richtig guten Eindruck, aber wieso die Band nicht warten konnte,

bis genug Lieder für ein ganzes Studio-Album zusammen waren,

wieso man die fertigen sechs nun sofort als EP veröffentlichen musste... das bleibt,

wenn man sich das Ding nun zuerst anhört, noch unklar.

Klar ist aber, dass die Drum/Percussion-Betontheit, die dem Album "Between Dog and Wolf"

konzeptionell zugrunde lag, hier wieder dem "normalen" NMA-Sound gewichen ist.

Klar ist auch, dass es sich bei „Angry Planet“ und „Devils Bargain“ um absolute Killertracks handelt,

die man gerne sofort der Sammlung hinzufügt, und dass außer „Sunrise“ eigentlich

jeder Song der EP überm Durchschnitt für diese Band liegt.

Happy to Be Here“ ist ein balladesker Ohwurm mit Gänsehautatmosphäre,

Guessing“ so ein typisches NMA-Schmankerl mit viel Groove und Saft und Kraft,

ja, selbst „According to You“, das unterm Strich dann doch ein wenig abfällt,

ist immer noch ein sehr runder, gar radiotauglicher Song, der für jüngere Bands

ein veritables Highlight abgäbe.

Je öfter man sich diese EP anhört, umso geiler wird das Ding.

Und, wie gesagt... „Angry Planet“ und „Devils Bargain“ sind Hämmer, ich würde sogar behaupten,

dass diese zwei Songs besser sind als alles, was man auf dem Vorgängeralbum finden kann.

Und dass auf „Between Dog and Wolf“ massig tolle Sachen drauf sind, das weiß man als Fan ja

bereits, bevor man nun daran geht, die Live-CD in den Player zu legen.

Man weiß es, aber man hat doch keine Ahnung, was einen da erwartet.



Was einen da erwartet, das ist eine der allerbesten Live-CDs ever.

Jeder, wirklich jeder Song wird, durch die Performance auf der Bühne und die Atmosphäre

vor Publikum, auf ein anderes, höheres Level gehoben, mit einer Power,

bei der einem geradezu Hören und Sehen vergeht.

Es bricht wie ein hochemotionaler Sturm über den Hörer ein

und lässt einen bis zum Ende nicht mehr los.

Alles, was man als kritischer Hörer beim Studioalbum durchaus noch als Schwäche hat wahrnehmen können,

da es nun mal eintönig werden kann, wenn der Sound so extrem aufs Trommeln fokussiert wird,

wie bei „Between Dog and Wolf“ geschehen,

es wird im Konzert wie ausradiert und durch Empfindungen ersetzt,

deren Intensität alle Vorstellungskraft übersteigt.



Was ist das ?

So gewalttätig und hochsensibel zugleich hat man nicht mal New Model Amy,

die nun wirklich immer wieder für solche Momente gut waren und sind,

bisher am Stück musizieren gehört.

Wenn, nach einer Donnersalve, die der vorherigen folgte,

mit Track 9, dem wunderschön-traurigen "Summer Moors",

einer mystischen Elegie zum Steineerweichen,

dann schließlich doch mal Balladeskes kommt, dann atmet man erleichtert durch,

bemerkt beim folgenden, ebenfalls ruhigen, akustischen "Knievel",

dass es immer noch vor Spannung knistert und ist dann auch nicht überrascht,

dass es eben doch nur eine Art Atempause war, weil dieser Sturm ja noch nicht vorbei sein konnte.

Er ist erst mit dem Verklingen der „Horsemen“ wirklich vorüber,

jener apokalyptischen Fanfare, die so simpel wie genial noch ein Mal alles auf den Punkt bringt,

um den es Justin Sullivan und seiner aktuellen Truppe hier gegangen ist, gegangen sein muss.



Welcher Punkt ? Die Welt steht am Abgrund und wir sind mittendrin.

Jeder als Individuum, jeder mit seinem Leben, seinem eignen Schicksal, seiner Verantwortung...

und doch geschehen Dinge, die sich der Kontrolle des Einzelnen längst entzogen haben.

Wenn man genau hinsieht, dann kann man in diesen Dingen die Erfüllung uralter Prophetie erkennen,

das Toben der eschatologischen Schlacht, und die Lieder von „Between Dog and Wolf“

sind, vor allem in ihren Live-Versionen auf „Between Wine and Blood“, der authentischste

Soundtrack, den man sich dazu vorstellen kann. Mit Alttestamentarischem Feuer,

mit an die Kabbala ermahnender Spiritualität, mit der Urgewalt göttlicher Schöpfungskraft.

Das ist mehr als Musik, das sind mehr als Lieder, das ist das Vordringen zur Essenz

unseres Daseins anno 2014 in erschütternder Wachheit und mit allem gebotenen,

heiligstem Ernst. „Between Wine and Blood“ ist so ziemlich das Beste, was New Model Army

je veröffentlicht haben.

 

Anspieltipps EP: Angry Planet, Devils Bargain, Happy to be Here

Anspieltipps Live-Album: Alles, aber besonders „Did You Make It Safe“.



Rupert am 12.01.2017


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2013

Fish – A Feast of Consequences

(Chocolate Frog Records)



Dies für alle, die meinen, ich hätte etwas gegen Derek William Dick aka „Fish“,

den ehemaligen Sänger von Marillion.

Kann ich gar nicht, im Gegenteil, ich bin ihm sogar sehr, sehr dankbar dafür,

dass er diese Band verlassen hat und damit seinen Teil dazu beitrug,

dass sie, mit und durch seinen Nachfolger Steve Hogarth,

überhaupt zu meiner „zweiten Lieblingsband“ haben werden können.

Dass sie es mit ihm nicht waren, dafür kann der gute Mann herzlich wenig,

außerdem mag ich auch „Script for a Jester's Tear“ und vor allem „Clutching at Straws“.

Als er Marillion verließ jedoch, da schien es zunächst – ich weiß, dass ich mit dieser Meinung

immer wieder alleine stehe – für beide Seiten ein Gewinn zu werden:

Fish's erstes Solo-Album „Vigil in a Wilderness of Mirrors“ genauso wie Marillion's „Seasons End“

gefallen mir auch heute noch besser als die „alten Marillion“.

Nur dass es mit Fish's Karriere leider bald bergab gehen sollte... klar, auch die Verkäufe

seiner ehem. Band sanken bis Ende der 90er von Album zu Album,

bis sich dann mit „Anoraknophobia“ und vor allem „Marbles“ ein Umschwung ergab,

aber bei Fish sollten sich die Dinge sehr bald viel drastischer entwickeln,

was eigentlich bereits mit „Vigil“ seinen Anfang nahm,

obwohl das Album sich sehr gut verkaufte damals.

 

Die Probleme begannen mit der Abrechnung von Seiten der EMI

und hatten für Fish einen Namen, an den er sicher unweigerlich erinnert wird,

wenn er meinen Namen hört, denn der Mann heißt, wie ich, Rupert, und zwar Rupert Perry.

Fish hatte einen sehr guten Start als Solokünstler hingelegt, doch bezahlt wurde er pro verkaufter Einheit

lediglich mit einem Fünftel der eigentlichen Künstlertantiemen,

weil er von der EMI vertraglich noch immer behandelt wurde

wie das/ein Fünftel einer Band.

Und dass es da überhaupt nichts dran zu rütteln gab, obwohl er als Solo-Künstler nun

die alleinige Verantwortung und viel höhere Kosten zu tragen hatte,

dafür sorgte mein Namensvetter Rupert Perry.

Der muss wirklich nicht nur ein knallharter Geschäftsmann sondern auch ein arroganter Schnösel gewesen sein,

denn mit dem war nicht zu reden und da Fish auch auf dem Rechtsweg nichts erreichen sollte,

brauchte er Hilfe, um aus dem Knebelvertrag mit der EMI herauszukommen.



Noch war sein Name ein durchaus kommerzielles Pfund,

das auch für andere Firmen der Musikindustrie von größerem Interesse blieb,

also erklärte sich die britische Polydor bereit,

ihn aus dem Vertrag mit EMI für teures Geld herauszukaufen,

Geld, das er mit den kommenden Alben wieder einspielen und an den neuen Schuldner,

bei dem er nun unter Vertrag stand, zurückzahlen sollte.

Leider aber lief bereits „Internal Exile“, Fish's zweites Album und sein erstes für Polydor, nicht mehr so gut.

Also nicht, dass es sich schlecht verkauft hätte, aber eben doch lange nicht so gut wie der Vorgänger

und damit wie von den neuen Vertragspartnern erhofft...

ich mag die CD übrigens sehr, auch wenn sie tatsächlich nicht das Niveau ihrer zwei Eröffnungstracks halten kann

und deshalb auch nicht an „Vigil“ heranreicht...

tja, die Folge war Druck, und durch diesen Druck in die Enge getrieben, machte Fish leider den Fehler,

dem Wunsch der Polydor zu entsprechen und mit „Songs From the Mirror“

ein Album nur mit Coverversionen aufzunehmen, Coverversionen, die kein Mensch braucht,

obwohl sie gar nicht schlecht ausfielen.

Es war nur eben überhaupt nicht die Platte, die nötig gewesen wäre, um Fish ins Geschäft zurück zu bringen,

die Platte, mit der er all jene Fans hätte überzeugen können, die mit „Internal Exile“ nicht zufrieden waren.



 

Es waren Lieder, die man ihn sicher gerne mal vereinzelt bei Konzertzugaben hat singen hören,

aber eben auch Lieder, an denen er, im Vergleich zu den Originalen, letztlich nur scheitern konnte:

z.B. Jeepster von T.Rex, I Know What I Like von Genesis, Five Years von David Bowie...

alles Klassiker, keine Frage, aber so ein Projekt kann nur in den Köpfen von Plattenfirmenleuten,

die sich so was ausdenken, wirklich halten, was es verspricht, nicht jedoch in der Realität.

In der Realität hatte Fish nun einen veritablen Flop gelandet, sah abermals keine Zukunft mehr

bei seiner Plattenfirma, musste einen immens hohen Berg Schulden abtragen

und machte sich nun mit eigenem Label selbständig.

Damit lag der ganze Druck auf seinen Schultern und zu allem Überfluss

begann, seine Stimme Probleme zu machen.

Sie blieb immer öfter weg und büßte eine Menge ihrer einstigen Kraft ein.



Und das wurde hörbar auf den kommenden Alben,

das eigne Label ging pleite und fortan wurden neue Fish-Platten

von der großen Käufermasse so gut wie gar nicht mehr wahrgenommen.

Auch seine Ehe ging in die Brüche,

er versuchte sich als Schauspieler (mit beachtlichem Erfolg bei britischen TV-Serien),

und was Musik betraf... nun,

es sollte sich für ihn als am Lukrativsten herausstellen, alte Marillion-Scheiben zu betouren,

denn von seinen ehem. Kollegen konnten alte Fans nicht mehr

auf „Misplaced Childhood“ in voller Länge und schon gar nicht mehr

auf Lieder von „Fugazi“ hoffen, nein, die hatten eine neue Identität und mit dieser teils auch

eine neue Hörerschaft gefunden, für Marillion lag all dies viel zu weit in der Vergangenheit.

Fish bediente also die Nostalgiker, allerdings sang er die alten Lieder

nun deutlich tiefer, denn seine Stimme hatte diverse Überlastungen nicht wirklich weggesteckt

und obwohl nach einer OP und Gesangsunterricht nun wieder mehr von ihr da war,

deutlich an Register eingebüßt. Wenn es dann doch mal ein neues Album geben sollte,

so war es leider nur für eine exklusive Schar übriggebliebener, treuer Fans interessant.



So auch „A Feast of Consequences“, und ich muss zugeben,

ich gehörte diesem Kreis schon lange nicht mehr an,

als diese CD erschien. Wenn sie mir nicht geschenkt worden wäre...

nun, ich hätte wohl nichtmal mehr reingehört. Und das wäre wirklich äußerst schade gewesen,

denn dieses „Fest der Konsequenzen“ ist tatsächlich eine ganz, ganz hervorragende Platte,

die so mal mit links schwächere Werke von Marillion

(Sounds That Can't Be Made, The Hard Shoulder, Holidays in Eden aber auch,

man vergebe mir, die überschätzte „Afraid of Sunlight“)

auf die Plätze verweist. Ja, „A Feast of Consequences“ kann mit einigen der besten

Alben von Marillion, ob nun mit oder ohne Fish, ziemlich gut mithalten.



Fast hätte ich geschrieben „locker (mithalten)“, aber wenn es an dieser Platte überhaupt etwas auszusetzen gibt,

dann... dass sie alles mögliche ist, nur nicht „locker“.

Sie ist tief, ernst, künstlerisch beeindruckend und voller ganz großer, emotionaler Momente.

Und kann dabei für den geneigten Hörer auch eine Spur zu anstrengend werden,

so anspruchs- und niveauvoll wurde hier komponiert, getextet, musiziert und...

gesungen. Ja, Fish's Stimme gefällt mir endlich wieder. Klar ist sie tiefer als früher,

aber sie hat wieder Volumen und Ausdrucksstärke, die ganzen Kämpfe,

die der Mann durchstanden hat, sie haben sich als Reife in ihr niedergeschlagen,

und damit... hat das Kämpfen sich auch gelohnt.



Ich kann unmöglich beschreiben, welche Vielzahl an Gefühlen dieses Album in mir hervorruft.

Es ist mir eigentlich eine Spur zu schwer, zu fordernd, zu finster auch in der Farbe,

trotz einiger rockigerer Stücke wie zB dem Titeltrack,

aber es ist dann doch wieder viel zu gut, um es mir nicht doch immer wieder anzuhören.

A Feast of Consequences“ ist so etwas wie Fish's Pendant zu „Brave“,

er klingt jedoch viel geerdeter als seine ehem. Kollegen, die Wurzeln im schottischen Folk

sind auch viel gegenwärtiger, der „Proggressivrock-Anteil“ ergibt sich weniger über die

Keyboards, ist aber ebenfalls hoch... richtig "kommerziell" ist da so gut wie gar nichts mehr,

dafür von höchstem künstlerischen Ausdruck und Wert...

für 2013 jedenfalls fällt mir keine bessere Platte ein.

Große Klasse ist das und man wünscht ihm dafür ein viel, viel größeres Publikum.

 

Anspieltipps: The High Wood Parts I-V, The Great Unravelling, Other Side of Me, Blind to the Beautiful

Rupert am 13.01.2017



 Rezensionen:

© Rupert Lenz 79110 Freiburg





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